Du kennst wahrscheinlich die Statistik: Mehr als ein Zehntel der Paare ist unfreiwillig kinderlos. Diese Zahl bezieht sich auf Deutschland, aber die Situation ist in Österreich und der Schweiz nicht anders. Alle diese Paare suchen eine Fruchtbarkeitsberatung bei einem Gynäkologen oder einem anderen Gesundheitsdienstleister auf. In den meisten Fällen folgt sehr schnell eine IVF. Gleichzeitig werden Standardtests durchgeführt, um den Hormonspiegel der Frau und häufige Probleme wie Fehlbildungen der Fortpflanzungsorgane oder Endometriose zu überprüfen. Wenn auch die IVF mehrmals fehlschlägt, werden die Tests erweitert. Es werden Karyogramme erstellt, die Spermien des Mannes untersucht und andere Tests durchgeführt, die die Fruchtbarkeit beider Geschlechter beeinträchtigen können. In den meisten Fällen kann eine Ursache für die Unfruchtbarkeit gefunden werden. Wenn eine Ursache gefunden wird, kann eine spezifische Behandlung durchgeführt werden, die in der Regel zu einer Schwangerschaft führt. Wenn nichts gefunden wird, verlässt das Paar die Klinik mit der Diagnose idiopathische Subfertilität.
Was bedeutet es, an idiopathischer Subfertilität zu leiden?
Wenn nach einer Basisuntersuchung keine Ursache für eine Erkrankung gefunden werden kann, wird sie als idiopathisch bezeichnet. Bei der Fruchtbarkeitsbehandlung erhalten etwa 20% der Paare diese Diagnose nach der Basisuntersuchung. Die Diagnose ist jedoch nicht endgültig. Idiopathische Patienten werden im Laufe der Behandlung auf seltenere und spezifischere Krankheiten getestet. Der Prozentsatz der Paare mit dieser Diagnose nimmt daher mit der Zeit ab.
Subfertilität ist ein Rückgang der Fruchtbarkeit. Sie ist nicht dasselbe wie Unfruchtbarkeit. Nur sehr wenige Menschen sind 100% unfruchtbar. Eine Schwangerschaft ist für unfruchtbare Menschen definitiv nicht möglich. Wenn dir zum Beispiel wegen einer Krebserkrankung die Gebärmutter entfernt wurde, kannst du nicht schwanger werden. Unfruchtbare Menschen können trotzdem schwanger werden, aber die Chancen sind geringer als bei fruchtbaren Menschen.
Dann muss es die Psyche sein, richtig?
Jetzt, wo die meisten körperlichen Ursachen bis auf die molekulare Ebene erforscht und untersucht werden können, werden viele unerklärliche Krankheiten oft auf die Psyche geschoben. Je nach Krankheit kann das gerechtfertigt sein, aber im Fall der idiopathischen Subfertilität ist es das nicht.
In der Literatur werden verschiedene Gründe genannt, warum die Psyche eine Rolle spielen soll. So wird zum Beispiel behauptet, dass Frauen unbewusst Angst vor den Schmerzen der Geburt haben oder sich der Verantwortung, ein Kind zu bekommen, nicht gewachsen fühlen. Manche gehen sogar so weit zu behaupten, dass Frauen, die nur ein Kind wollen, um eine kaputte Beziehung zu retten, nicht schwanger werden, weil sie das Kind selbst nicht wirklich wollen.
Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise, die diese Behauptungen stützen. Es wird zwar vermutet, dass sich starker Stress negativ auf die Fruchtbarkeit auswirken kann, aber das lässt sich nicht pauschal auf alle Paare mit idiopathischer Subfertilität übertragen.
Tatsächlich werden Paare, die über einen längeren Zeitraum unfreiwillig kinderlos sind, von ihrem Umfeld aufgrund der oben genannten Vorwürfe stark stigmatisiert. Ihnen wird das Gefühl gegeben, dass sie etwas falsch machen. Familienmitglieder, Freunde und Kollegen kommen ständig mit wenig hilfreichen Ratschlägen um die Ecke, wie z. B. "Entspann dich doch mal", "du solltest aufhören, dieses oder jenes zu essen" und so weiter. Das führt schließlich dazu, dass sich die Paare selbst oder gegenseitig die Schuld an der Situation geben.
Die Psyche ist immer noch ein wichtiger Faktor
Auch ohne das soziale Stigma ist die idiopathische Subfertilität eine enorme Belastung. Wenn die Diagnose gestellt wird, hat das Paar bereits unzählige natürliche Methoden und wahrscheinlich auch einige IVF-Behandlungen ausprobiert. Die Hoffnung vor jedem Versuch ist groß, die Enttäuschung danach noch größer. Also lässt das Paar alle möglichen Tests durchführen, um die Ursache des Problems zu finden. Aber auch diese sind erfolglos. Es gibt kaum eine Situation, in der sich Menschen hilfloser fühlen, als wenn sie leiden und es nicht einmal einen logischen Grund dafür gibt.
Diese Situation stellt eine enorme Belastung für beide Partner und meist auch für die Beziehung dar. In diesem Sinne spielt die Psyche eine Rolle, denn du musst dich um deine psychische Gesundheit kümmern, um in dieser Situation nicht zusammenzubrechen. Deshalb ist es wichtig, dass du mit deinem Partner sprichst. Nur wenn ihr eure Gefühle mitteilt, könnt ihr auf die Bedürfnisse des anderen eingehen. Außerdem gehen viele Paare mit unerfülltem Kinderwunsch zu Selbsthilfegruppen oder zur Therapie. Du solltest dich nicht davor scheuen, denn unabhängig davon, ob sich deine Gedanken auf deine Schwangerschaft auswirken oder nicht, ist deine psychische Gesundheit wichtig.
"Allein in den ersten acht Monaten der Studie wurden 21% der Frauen trotz Unfruchtbarkeit schwanger."
Kannst du trotz idiopathischer Subfertilität schwanger werden?
Die Antwort ist ja. Die University of Oxford hat 2016 eine große Studie dazu veröffentlicht. Die Studie untersuchte, wie viele Paare, bei denen eine idiopathische Subfertilität diagnostiziert wurde, später auf natürlichem Wege schwanger werden konnten. Untersucht wurde nur die natürliche Empfängnis. Paare, die sich einer IVF oder ähnlichen Behandlungen unterzogen hatten, wurden nicht in die Studie aufgenommen.
Zunächst einmal müssen wir klären, was "später" bedeutet. Im Allgemeinen wird eine Untersuchung empfohlen, wenn nach etwa einem halben Jahr regelmäßigen ungeschützten Geschlechtsverkehrs keine Schwangerschaft eingetreten ist. Nach diesen Untersuchungen wird eine Diagnose gestellt. In der Studie wurden Paare in den Niederlanden von diesem Zeitpunkt an zwei Jahre lang beobachtet. Paare, bei denen andere Ursachen für die Unfruchtbarkeit festgestellt wurden, wie verstopfte Eileiter oder unbewegliche Spermien, wurden von der Studie ausgeschlossen.
Insgesamt konnten 4999 Paare an der Studie teilnehmen. Innerhalb der ersten acht Monate der Studie wurden 21% der Frauen trotz Unfruchtbarkeit schwanger. Auf der Grundlage der Ergebnisse der Studie wurde ein Berechnungsmodell erstellt, um die Wahrscheinlichkeit verschiedener Szenarien vorherzusagen. Im Durchschnitt werden 27% der Paare mit ungeklärter Subfertilität innerhalb des ersten Jahres schwanger. Mit der Zeit nimmt die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft ab, aber ein erheblicher Anteil wird trotzdem schwanger. Selbst nach eineinhalb Jahren liegt der Anteil noch bei 13% (siehe https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27993999/).
Wie bereits erwähnt, untersuchte diese Studie die natürliche Empfängnis. Der Nutzen der IVF im Zusammenhang mit ungeklärter Subfertilität ist noch nicht geklärt. Allerdings scheint sie die Erfolgschancen nicht wesentlich zu verbessern.
Studien wie diese zeigen, dass die Diagnose einer idiopathischen Subfertilität kein Grund ist, die Hoffnung aufzugeben. Es ist wichtig zu wissen, dass Subfertilität nicht gleichbedeutend mit Unfruchtbarkeit ist. Solange du nicht schwanger bist, solltest du auf jeden Fall weitere Tests bei deiner Kinderwunschklinik in Betracht ziehen. Vielleicht möchtest du auch an einer klinischen Studie teilnehmen. Vernachlässige dich und deine psychische Gesundheit in dieser stressigen Zeit nicht. Wenn du tatsächlich schwanger bist, wird sich dein Kind glücklich schätzen, eine gesunde Mutter zu haben.